Aus der Fülle der vorhandenen Brüsseler Informationen wird hier als
Ausschnitt aus unseren Informationsbriefen über folgendes berichtet:

EU-Gebäude und ihr Namenspatron

Getagt wird bei Churchill, verwaltet beim Kanzler aus Köln

 

Es ist zwar nicht so effektvoll wie Terrazzo-Sterne im Bürgersteig, aber die EU ist auch keine Traumfabrik und das Brüsseler Pflaster nicht der Hollywood-Boulevard. Die Europäische Union gedenkt politischer Größen europäischen Geistes, indem sie Tagungs- und Bürohäuser nach ihnen benennt. Manche dieser Gebäude sind wichtige Schaltstellen der Gemeinschaftspolitik, etliche Stätten des tagtäglichen Europabetriebs; einige der so Geehrten sind weithin bekannt, andere Namen weniger geläufig.
Deshalb hier ein "Who’s where" zu Persönlichkeiten der europäischen Geschichte, die in Brüssel, Straßburg oder Luxemburg eine Hausnummer haben.
 

 

Teil I: Gebäude des Europäischen Parlaments

 

(Nachzulesen unter dem Thema -EU-WEGWEISER- in: "Aktueller EG-Förderbrief" 11/2003)

  Straßburg   Brüssel   Luxemburg

Winston Churchill

Bertha von Suttner

Alcide de Gasperi

Salvador de Madariaga

Paul-Henri Spaak

Robert Schuman

Louise Weiss

Altiero Spinelli

Konrad Adenauer

  

Winston Churchill   Avenue du Président Robert-Schuman - Straßburg
    EP-Gebäude WIC oder "IPE I"

John Churchill ist der erste aus der Familie, dem der Titel Herzog von Marlborough verliehen wird. So geschehen anno 1702. Die Herzogswürde vererbt sich auf die Familie Spencer, die sodann den Namen Spencer-Churchill annimmt. Der heute wohl berühmteste Sproß dieses Stammbaums erblickt am 30. November 1874 in Blenheim Palace (Oxfordshire) das Licht der Welt - Winston Leonard Spencer (Churchill). Der Sohn eines konservativen britischen Politikers und einer Amerikanerin absolviert die Königliche Militärakademie Sandhurst und zieht noch als Kavallerieoffizier in Indien und dem Sudan für Ihre Majestät in den Krieg, dann aber wird aus ihm ein Journalist und Schriftsteller, Kriegsberichterstatter und Vollblutpolitiker.
Winston Churchill tritt 1905 von der Konservativen zur Liberalen Partei über. Nach dem Wahlsieg der Liberalen von 1906 wird er als Unterstaatssekretär für die Kolonien in die Regierung berufen, 1908 zum Handels-, 1910 zum Innenminister ernannt und 1911 zum Ersten Lord der Admiralität. Unter seiner Ägide wird die britische Flotte aufgerüstet, aber auch für die Einführung von Arbeitsämtern, Alters- und Krankenversicherung gesorgt. Nach kurzem Ausscheiden aus der Regierung und Eintritt in die Armee kehrt Churchill 1917 ins Kabinett zurück, ist 1917/18 Munitions-, dann Kriegs- und Luftfahrt- und schließlich 1921/22 Kolonialminister.
Nach dem Zerfall der Liberalen Partei tritt er 1924 wieder zu den Konservativen über. Seine Kritik an der regierungsamtlichen Indienpolitik und dem Appeasement-Kurs gegenüber Deutschland in den 30er Jahren bringt ihn in Gegensatz zur offiziellen Politik seiner Partei. Die Premierminister Baldwin (seit 1935) und Chamberlain (seit 1937) machen Hitler mit dem deutsch-britischen Flottenabkommen, bei Besprechungen in Berchtesgaden und Bad Godesberg und mit dem Münchener Abkommen weitreichende Zugeständnisse, während Churchill vor den Gefahren warnt, die von dem nationalsozialistischen Regime in Deutschland ausgehen.
Nach Ausbruch des 2. Weltkriegs wird Churchill auf Druck der öffentlichen Meinung erneut zum Ersten Lord der Admiralität und nach dem Scheitern der britischen Norwegenexpedition und Hitlers Angriff auf Deutschlands Nachbarn im Westen im Mai 1940 zum Premier- und Verteidigungsminister berufen. In dieser Position wird er zum Symbol des Durchhaltewillens seiner Nation, sorgt für die Einheit im Innern (Kabinett der "Nationalen Konzentration") und unter den in der "Grand Alliance" verbündeten Mächten Großbritannien, USA und UdSSR. Die Fotos von der Jalta-Konferenz der Alliierten über die Nachkriegsordnung in Europa im Februar 1945 zeigen den Briten noch an der Seite von US-Präsident Roosevelt und dem sowjetischen Staats- und Parteichef Stalin. Und auch bei der Potsdamer Konferenz vom 17. Juli bis 2. August 1945 sitzt für Großbritannien zunächst Winston Churchill am großen runden Tisch der Siegermächte im Schloß Cecilienhof. Doch das Potsdamer Abkommen trägt nicht seine Unterschrift - die Wahlniederlage der Konservativen erzwingt am 27. Juli 1945 Churchills Rücktritt als Premier. 1951 wird er erneut für vier Jahre in dieses Amt berufen.
Churchill ist jedoch nicht nur die herausragende politische Figur der Briten in der Zeit des zweiten Weltkriegs. Sein Name ist überdies eng mit der Gründung der UNO und der Schaffung der NATO verbunden; und er steht für den Begriff des "Eisernen Vorhangs", den er in seiner Rede in Fulton, Missouri, am 5. März 1946 prägt ("From Stettin in the Baltic to Trieste in the Adriatic an iron curtain has descended across the Continent.")
Auch der 1949 gegründete Europarat sieht in Churchill einen seiner wichtigsten Geburtshelfer - am 19. September 1946 plädiert dieser an der Zürcher Universität für die Schaffung der "Vereinigten Staaten von Europa" und fordert als ersten Schritt dazu die Bildung eines Europarats, was er später bei anderen Gelegenheiten und großen Konferenzen wiederholt.
Churchill macht sich aber nicht nur als Politiker einen Namen, sondern auch als Maler und Schriftsteller (und unerschöpfliche Quelle für Zitatenverwender: "Ein Experte ist ein Mann, der hinterher genau sagen kann, warum seine Prognose nicht gestimmt hat"). 1953 erhält er den Literatur-Nobelpreis vor allem für sein zeitgeschichtliches Werk "The Second World War", das schließlich auf sechs Bände anwächst und über das ein Zeitgenosse meint, Sir Winston beschreibe sein Leben in der Verkleidung einer Geschichte des Universums.
Winston Churchill stirbt in London am 24. Januar 1965.



Salvador de Madariaga   Rue du Général-Uhrich - Straßburg
    EP-Gebäude SDM oder "IPE II"

Salvador de Madariaga y Rojo ist Sohn eines Offiziers aus einer alten baskischen Soldatenfamilie. Doch der 1886 in La Coruña geborene Filius wird Ingenieur, studiert in Paris an der berühmten École Polytechnique und anschließend an der École des Mines. Das Diplomexamen besteht er als Jahrgangsbester und tritt 1911, mit 25 Jahren, in den Verwaltungsdienst der Nordbahn-Gesellschaft in Madrid ein. Nebenbei schreibt er für Madrider Tageszeitungen. Fünf Jahre später siedelt er aus dem im ersten Weltkrieg neutral gebliebenen Spanien nach Großbritannien über, läßt sich in London nieder, wird Mitarbeiter und Leitartikler der "Times". 1920 veröffentlicht er sein erstes in englischer Sprache geschriebenes Buch mit Essays.
1921 beginnt er seine Tätigkeit im Völkerbund, zunächst in der Presseabteilung, ein Jahr darauf übernimmt er die Leitung der Abrüstungsabteilung des Völkerbundsekretariats in Genf. Er veröffentlicht zahlreiche Bücher, darunter den Gedichtband "Romances de ciego" und die Untersuchung "Englishmen, Frenchmen, Spaniards" über die Eigenheiten europäischer Völker. 1927 erhält er in Oxford den Lehrstuhl für spanische Literatur.
Nach der Proklamation der Spanischen Republik 1931 kehrt er zurück in sein Heimatland, wird in die Nationalversammlung gewählt und geht wenige Monate später für das republikanische Spanien als Botschafter nach Washington und ein Jahr darauf nach Paris. 1934 gehört er für kurze Zeit als Erziehungs- und Justizminister dem Regierungskabinett an.
Nach Beginn des spanischen Bürgerkrieges verläßt er 1936 Spanien. Er geht wieder nach Oxford, wo er fast vier Jahrzehnte lehrt und eine Vielzahl von Büchern schreibt, darunter sein zweibändiges Standardwerk "The Rise and Fall of the Spanish American Empire", das in gekürzter Fassung auch in Deutsch erscheint.
1948 regt Salvador de Madariaga auf dem Ersten Haager Kongreß für die europäische Einheit, an dem rund 800 Vertreter des politischen Lebens aus nahezu allen Staaten Europas teilnehmen, darunter auch Churchill, an, ein Graduierten-Kolleg zu schaffen, an dem Universitätsabsolventen aus verschiedenen Ländern zusammen studieren und zusammen leben. Eine Idee, die ein Jahr später mit der Gründung des Europa-Kollegs im belgischen Brügge, das sich später zur Kaderschmiede fürs europäische Beamtentum entwickelt, Realität wird.
Nach dem Tod seiner ersten aus Schottland stammenden Frau, mit der er 58 Jahre zusammengelebt hat, heiratet der 84jährige Spanier 1970 zum zweiten Mal und siedelt zwei Jahre später von Oxford ins Tessin um.
In sein Heimatland kehrt Salvador de Madariaga y Rojo erst wieder 1976 - nach dem Tod Francos - zurück. Zwei Jahre später verstirbt er im Alter von 92 Jahren bei Locarno in der Schweiz. 



Louise Weiss   Allée du Printemps - Straßburg
    EP-Gebäude LOW oder "IPE IV"

Louise Weiss, die 1893 geborene Professorentochter aus elsässischer Familie, muß ihr Studium noch extern absolvieren, da sie als Frau nicht an der Universität zugelassen wird. Sie schließt es mit einem Diplom der Universität Oxford ab und wird Studienrätin für Geisteswissenschaften. Bald darauf beginnt der erste Weltkrieg und Louise Weiss arbeitet auf französischer Seite als Kriegskrankenschwester; sie gründet ein Krankenhaus an der Côte du Nord.
Danach wendet sie sich dem politischen Journalismus zu, ruft noch 1918 die Wochenzeitschrift "Nouvelle Europe" (Neues Europa) ins Leben und ist nach dem Krieg als Korrespondentin der damals auflagenstärksten Tageszeitung "petit parisien" in Europa unterwegs.
Louise Weiss setzt sich aktiv für Frauenrechte ein und gründet 1934 mit Cécile Brunsvicg die Vereinigung "La femme nouvelle" (Die neue Frau), die das Wahlrecht in Frankreich und die Stärkung der Position der Frau im öffentlichen Leben anstrebt. Bei einer Demonstration läßt sie sich mit anderen Mitstreiterinnen in den Straßen von Paris an eine Laterne ketten. Ein Jahr darauf klagt sie erfolglos vor dem französischen Court d’Etat gegen die "Wahlunfähigkeit der Frauen". Als typische Feministin versteht sie sich jedoch nicht, es geht ihr um das politische Recht der Frauen, aber sie will nicht wie andere deren "biologische Struktur verändern".
Während des zweiten Weltkrieges schließt sie sich der Résistance an - ist Mitglied des Netzes Patriam Recuperare und 1942-44 Chefredakteurin der im Untergrund herausgegebenen Zeitung "Nouvelle République".
Nach Kriegsende reist Louise Weiss in den Nahen Osten, nach Japan, China, Vietnam, Kenia, Madagaskar, Alaska, Indien und in andere Länder und dreht 30 Dokumentarfilme zu sozialen Themen. Politisch liegt ihr, was nicht zuletzt in einem ihrer bekanntesten Werke "Mémoires d’une Européenne" (Erinnerungen einer Europäerin, 1918-1934) sichtbar wird, besonders die Zukunft Europas am Herzen.
Ausgezeichnet mit dem Robert-Schuman-Preis und Großoffizier der Ehrenlegion wird Louise Weiss bei der ersten Direktwahl zum Europa-Parlament am 17. Juli 1979 ins europäische Abgeordnetenhaus gewählt, dessen erste Alterspräsidentin sie wird. Louise Weiss stirbt am 26.  Mai 1983. Ihr Hab und Gut geht an die elsässische Stadt Saverne, die sie als Alleinerbin einsetzt.



Bertha von Suttner   Rue Montoyer 92-102 - Brüssel
    EP-Gebäude BVS oder "MO92"

Ihre ersten drei Lebensjahrzehnte lassen alles andere vermuten, nur nicht, daß da eine der großen Pazifistinnen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts heranwächst.
Am 9. Juni 1843 als Gräfin Kinsky von Wchinitz und Tettau in Prag geboren, verbringt sie ihre Kindheit im südmährischen Brünn, ihre Jugend in Wien und Klosterneuburg. Während Berthas Sinnen und Trachten vor allem darauf aus ist, eine gute Partie zu machen, was aber nicht gelingen will, ist die Familie mehr und mehr verarmt, u.a. durch die Glücksspielleidenschaft der Mutter (der zum böhmischen Hochadel gehörende Vater war noch vor Berthas Geburt gestorben). Daß in Europa in dieser Zeit Krieg geführt wird, geht an ihr vorbei.
Mit 30 nimmt sie, da das Familienvermögen aufgebraucht ist, eine Stellung als Erzieherin der vier Töchter des Freiherrn von Suttner an und wechselt mit der Familie zwischen Wiener Wohnsitz und Schloß Harmannsdorf hin und her. Zum Entsetzen ihres "Arbeitgebers" entwickelt sich zwischen dem jüngsten Sohn des Hauses Arthur Gundaccar von Suttner und Erzieherin Bertha eine Beziehung, die ihr die Kündigung einbringt.
Die junge, hübsche, aber mittellose Frau geht 1875 nach Paris und bewirbt sich beim Multimillionär Alfred Nobel als Sekretärin, denn neben Deutsch, Italienisch und Englisch beherrscht sie auch fließend Französisch. Bei Nobel könnte sie bleiben, doch der sieben Jahre jüngere Arthur von Suttner nimmt Kontakt zu ihr auf und Bertha kehrt zurück nach Wien. Die beiden heiraten dort heimlich und ziehen 1876 auf Einladung einer Fürstin für neun Jahre in den Kaukasus. Er schlägt sich als Journalist durch; sie gibt Sprach- und Musikunterricht und beginnt ihre schriftstellerische Arbeit.
1882-84 werden die ersten drei Romane veröffentlicht - "Hanna" erscheint als Fortsetzungsroman in der "Gartenlaube". Bei "Inventarium der Seele" steht schon die Frage nach der Berechtigung des Krieges im Raum. 1885 kehrt das Ehepaar nach Österreich auf Schloß Harmannsdorf zurück. Beide nehmen noch im selben Jahr am Schriftstellerkongreß in Berlin teil, und im Winter 1886/87 gibt es das erste Wiedersehen mit Alfred Nobel, dem eine große Freundschaft folgt.
Ihren Antikriegsroman "Die Waffen nieder!" lehnen 1888 gleich mehrere Verlage ab. Auch ihren utopischen Vorlesungszyklus "Das Maschinenzeitalter", eine politisch-philosophische Schrift gegen den Nationalismus, muß Bertha von Suttner 1889 noch anonym veröffentlichen. Unmittelbar danach erscheint in kleiner Auflage auch ihr Roman "Die Waffen nieder!" - und wird ein großer Erfolg, der ihren Ruf und Ruhm begründet.
In dieser Zeit beginnt ihr literarischer Pazifismus überzugehen in eine politisch-aktive Haltung. 1891 gründet sie die "Österreichische Gesellschaft der Friedensfreunde", reist zu vielen Friedenskongressen. Und wieder und wieder mahnt sie, daß "Europa eins" sei und daß der einzige Weg, eine drohende Weltkatastrophe zu verhindern, die europäische Einigung sei. Mehrfach trifft sie Alfred Nobel, der ihr in seinem letzten Brief an sie am 21.11.1896 kurz vor seinem Tode am darauffolgenden 10. Dezember schreibt: "Ich bin entzückt zu sehen, daß die Friedensbewegung an Boden gewinnt, dank der Bildung der Massen und dank besonders der Kämpfer gegen Vorurteil und Finsternis, unter denen Sie einen hohen Rang einnehmen. Das sind Ihre Adelstitel."
Bertha von Suttner, deren Mann 1902 verstirbt, ist zu dieser Zeit bereits eine weithin geachtete Pazifistin, die von US-Präsident Roosevelt und europäischen Monarchen empfangen und 1905 als erste Frau mit dem von ihr selbst angeregten Friedensnobelpreis geehrt wird.
1906 erscheinen ihre Schriften in einer zwölfbändigen Gesamtausgabe, 1909 ihre Memoiren, 1913 wird "Die Waffen nieder!" verfilmt. Und sie ist es auch, die 1911 als erste in "Der Menschheit Hochgedanken" das Thema Radium und sein bei kriegerischem Mißbrauch fürchterliches Vernichtungspotential aufgreift: "Damit ist eine Machtfülle in unsere Hand gegeben, für die uns noch das Fassungsvermögen fehlt. Ein Kraftquantum ist uns zur Verfügung gestellt, das alle Arbeitswirkung verhundertfachen, vertausendfachen, verhunderttausendfachen kann. [...] Der Radiumkondensator ist erfunden. Mit von Wolkenhöhen herabgesandten Radiumstrahlenbündeln in ein paar Minuten feindliche Flotten und Heere zu vernichten, feindliche Städte zu zertrümmern, ist Kinderspiel. Gegenseitig. Achtundvierzig Stunden nach der sogenannten ‚Eröffnung der Feindseligkeiten‘ könnten beide kriegführenden Parteien einander besiegen und im feindlichen Lande kein Gebäude und kein Lebewesen zurückgelassen haben."
Die Zeit der Nuklearwaffen muß sie nicht mehr erleben. Auch nicht den Beginn des ersten Weltkriegs. Bertha von Suttner stirbt nach kurzer, schwerer Krankheit am 21. Juni 1914 in Wien, wenige Tage vor Ausbruch des Krieges, vor dem sie gewarnt und gegen den sie gekämpft hat.



Paul-Henri Spaak   Rue Wiertz 43 - Brüssel
    EP-Gebäude PHS oder "D1/D2"

Paul-Henri Spaak, der 1899 im Brüsseler Stadtteil Schaerbeek geborene Sohn des Juristen, Schriftstellers und zeitweiligen Direktors der Brüsseler Oper Paul Spaak, gerät offenbar mehr nach der Mutter: Marie Janson, Tochter des belgischen Politikers Paul Janson und Schwester von Paul-Emile, einem der seinerzeit recht zahlreichen belgischen Kurzzeit-Premierminister, ist die erste Frau, die in Belgien einen Sitz im Senat erringt.
Sohn Paul-Henri mangelt es also nicht an förderlicher Umgebung, ebensowenig am nötigen Ehrgeiz und politischen Interesse. Das aber wird ihm zunächst zum Verhängnis. Im ersten Weltkrieg gelingt ihm unter falscher Altersangabe die Aufnahme in die belgische Armee, was für ihn zwei Jahre in deutscher Kriegsgefangenschaft zur Folge hat.
Nach dem Krieg studiert er Jura, wird 1920 Mitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei und 1932 erstmals ins Parlament gewählt. Von da an spielt er im Grunde über fast vier Jahrzehnte eine Hauptrolle auf Belgiens politischer Bühne. 1935 übernimmt er seinen ersten Ministerposten - für Post und Verkehr, im Jahr darauf wird er erstmals Außenminister, ein Ressort, das fortan sein Stammplatz ist, wenn er auf der Regierungsbank sitzt. Mehr als zehnmal ist er in seiner politischen Laufbahn für dieses Portefeuille verantwortlich, die Zeit als Außenminister der Exilregierung in London mitgerechnet. Einige Zeit ist er zudem Premierminister - im März 1946 nur für ein paar Tage, davor und danach meist für mehrere Monate, 1947 bis 1949 einmal für über zwei Jahre. Im Mai 1938 löst er als Regierungschef sogar seinen Onkel Paul-Emile Janson ab, der sechs Jahre später im KZ Buchenwald umkommt.
In dieser Zeit vor dem zweiten Weltkrieg trägt auch Spaak Belgiens Politik mit, einen deutschen Angriff durch Neutralität abwenden zu wollen. Ein Irrglaube. Hitler eröffnet seinen Krieg im Westen im Mai 1940 mit dem Stoß durch die Ardennen über die Maas hinweg. Nach der Kapitulation von Leopold III. geht Spaak mit der Regierung ins Exil nach London, der Monarch hingegen läßt sich zu Hause gefangennehmen. Für viele ist das Verrat, der König aber gibt dies und seinen Bittgang zu Hitler, die Belgier zu verschonen, als nationalen Rettungsversuch aus. Für die Exilregierung in London hat Leopold indes nicht viel übrig. 1944 wird er nach Deutschland deportiert. Wieder in sein zu großen Teilen gegen ihn aufgebrachtes Land zu kommen, wagt er erst, nachdem sich 1950 bei einer Volksbefragung eine knappe Mehrheit der Belgier für seine Rückkehr ausspricht. Schließlich muß er dann aber doch - vor allem auf Druck der gerade nicht regierenden Sozialisten - zugunsten seines Sohnes abdanken. Wortführer der Kampagne gegen Leopolds erneute Inthronisierung: Paul-Henri Spaak.
Spaak war inzwischen zum konsequenten Befürworter regionaler Zusammenarbeit und kollektiver Sicherheit gereift. Noch im Exil in London setzte er sich für die Schaffung der Zollunion mit den Niederlanden und Luxemburg ein, die 1948 in seiner Zeit als Premier Realität wurde. Im darauffolgenden Jahr übernimmt er den Vorsitz der Beratenden Versammlung des im Mai 1949 gegründeten Europarats, den er allerdings 1951 - nicht zuletzt aus Protest gegen Großbritanniens ablehnende Haltung gegenüber dem Schuman-Plan zur Schaffung der Montanunion (s.u. - Robert Schuman) - niederlegt. Spaak dagegen setzt sich vehement für die Gründung und später für den Ausbau der damals sechs Staaten umfassenden Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) ein und ist zwischen 1952 und 1954 erster Präsident der Gemeinsamen Versammlung der EGKS, des Vorläufers des Europäischen Parlaments.
1954 kehrt er auf seinen Stammplatz in der belgischen Politik zurück - wird wieder Außenminister und als solcher Vorsitzender eines Sachverständigenkomitees, das 1955 auf der Konferenz der Außenminister der EGKS-Staaten in Messina beauftragt wird, einen Bericht über die Möglichkeiten einer allgemeinen Wirtschaftsunion und einer Union im Atomenergiebereich auszuarbeiten. Ein Jahr später einigen sich die Staaten der Montanunion, auf der Basis des "Spaak-Berichts" Verhandlungen über die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG oder Euratom) aufzunehmen, die 1957 in die Unterzeichnung der Römischen Verträge, der Gründungsverträge für EWG und Euratom, münden.
Paul-Henri Spaak wechselt in dieser Zeit seinen Wirkungskreis und ist 1957 bis 1961 NATO-Generalsekretär, bevor er 1961 bis 1966 letztmalig belgischer Außenminister ist.
In den 60er Jahren wird das Land durch den flämisch-wallonischen Streit, trotz Festlegung der Grenzen zwischen dem niederländischen, französischen und deutschen Sprachgebiet, immer wieder in innenpolitische Krisen gestürzt. Auch Spaak, der sich nach Ende seiner beruflichen Laufbahn in der Politik 1966 von den Sozialisten abwendet, macht sich in seinen letzten Lebensjahren zum Fürsprecher der Frankophonen. Seine Tochter Antoinette wird später Vorsitzende der Front der Frankophonen (FDF) und folgt ihrem Vater in die Politik.
Paul-Henri Spaak stirbt am 31. Juli 1972. Seinen drei Jahre zuvor veröffentlichten Memoiren gibt er den Titel "Combats inachevés" (Unvollendete Kämpfe, 1969).



Altiero Spinelli   Rue Wiertz 60 - Brüssel
    EP-Gebäude ASP oder "D3"

1907 geboren, schließt sich Altiero Spinelli als 17jähriger der Kommunistischen Partei Italiens an und nimmt aktiv am Kampf gegen den Faschismus teil. 1927 wird der Jurastudent verhaftet, kommt zehn Jahre ins Gefängnis und wird anschließend für sechs Jahre auf die Verbannungsinsel Ventotene deportiert. Von den anderen dort inhaftierten Kommunisten wird er gemieden, nachdem er sich 1937 vom Kommunismus abwendet.
Schon während seiner Gefangenschaft befaßt sich Spinelli mit Texten der angelsächsischen Föderalisten und entwickelt sich zum Anhänger einer europäischen Einigung. Nach seiner Entlassung nimmt er 1944 in Genf an den Konferenzen des Europäischen Widerstandes teil und gehört zu den Initiatoren des Vorentwurfes für ein "Europäisches Manifest". Im selben Jahr heiratet er in zweiter Ehe eine aus Berlin emigrierte Journalistin.
Gegen Ende des Krieges kehrt der aus Rom stammende Spinelli nach Norditalien zurück und beteiligt sich am bewaffneten Widerstand gegen Faschisten und Deutsche.
Nach Kriegsende und in den 50er Jahren gehört der unabhängige Kopf zu den konsequenten Streitern für die Schaffung einer politischen Struktur auf europäischer Ebene. Als einer der aktivsten Vertreter der Europäischen Föderalistischen Bewegung versucht er 1951, zunächst mit mäßigem, dann mit größerem Erfolg die italienische Regierung unter Ministerpräsident De Gasperi (s.u.) dafür zu gewinnen, die Frage einer europäischen Verfassung zum Kernpunkt der Regierungsverhandlungen über die Bildung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) zu machen. Der EVG-Vertrag kommt zustande, wird 1952 von allen sechs Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl unterzeichnet, von fünf Ländern ratifiziert, aber nicht von der französischen Nationalversammlung, womit das Kapitel EVG für Jahrzehnte beendet ist. In der Folgezeit engagiert sich Spinelli weiter an führender Stelle für die europäische Bewegung. Anfang der 60er Jahre erhält er eine Gastprofessur am Europa-Zentrum der amerikanischen John-Hopkins-Universität in Bologna.
Damals den Sozialisten politisch nahestehend wird Altiero Spinelli 1970 zum Mitglied der seinerzeit noch EWG-Kommission genannten Brüsseler Behörde berufen, in der er für Industrie- und Forschungspolitik zuständig ist. Zur allgemeinen Überraschung läßt sich der italienische Kommissar 1976 beurlauben und als unabhängiger Kandidat auf die Wahlliste der Kommunistischen Partei Italiens setzen, für die er auch ins Parlament einzieht. Seinen Kommissarsposten legt er aufgrund dessen offiziell nieder. Bei der ersten Direktwahl zum Europa-Parlament 1979 erringt er - wieder auf der Liste der KPI - einen Sitz im EP, in dem er als Vorsitzender des Haushaltsausschusses viel Anerkennung erwirbt. Bekannt aber wird er als Vorsitzender des "Institutionellen Ausschusses", der den Auftrag erhält, den "Entwurf eines Vertrages zur Gründung der Europäischen Union" auszuarbeiten. Der "Spinelli-Entwurf" wird 1984 im Europäischen Parlament mit großer Mehrheit angenommen und enthält viel von dem, was dann im Verlaufe mehrerer Vertragsreformen in den letzten anderthalb Jahrzehnten scheibchenweise vollzogen wurde (z.B. Ausdehnung der Mitentscheidungsrechte des Europa-Parlaments, Übertragung weiterer Kompetenzen von der nationalen Ebene auf die Gemeinschaft).
Spinelli stirbt zwei Jahre später, im Alter von knapp 80 Jahren, nach längerer Krankheit in einer Klinik in Rom.



Alcide de Gasperi   Place de l’Europe/Rue du Fort Thüngen - Luxemburg
    EP-Gebäude ADG oder "Tour"

Alcide de Gasperi stammt aus Trient (Pieve di Tesino), einer italienischsprachigen Region, die vor dem ersten Weltkrieg zum Kaiserreich Österreich-Ungarn gehört. Schon während seiner Studienjahre an der Universität Wien, an der er Philosophie, italienische und deutsche Literatur belegt, ist er politisch engagiert; seine Karriere auf diesem Gebiet beginnt 1911, als er im Alter von 30 Jahren zum Abgeordneten Trentinos im österreichischen Parlament gewählt wird.
Bei Ausbruch des ersten Weltkriegs wird er mit der Leitung des Flüchtlingskomitees betraut und hilft Tausenden von Exilierten aus dem Trentino, die von der österreichischen Regierung aus militärischen Gründen zur Emigration ins Landesinnere gezwungen werden. Als Herausgeber der Zeitung "Il Trentino" tritt er für den Anschluß seiner Heimat an Italien ein, was schließlich durch den Friedensvertrag von Saint-Germain Wirklichkeit wird. Nach dem ersten Weltkrieg setzt er sich für die Gründung der katholischen Partito Popular Italiano ein, wird 1921 für die Volkspartei ins Parlament, dieses Mal ins italienische, gewählt und ist zwischen 1923 und 1926 deren Generalsekretär.
Nach dem Machtantritt Mussolinis wird er 1927 antifaschistischer Aktivitäten angeklagt und zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, kommt aber auf Intervention der Katholischen Kirche nach 16 Monaten vorzeitig frei und arbeitet - weiter unter Aufsicht stehend - bis zum Sturz des Faschistenführers 15 Jahre lang in der Bibliothek des Vatikans.
Im Juni 1944 besetzen die alliierten Truppen Rom, und De Gasperi, inzwischen unangefochtener Führer der Democrazia Cristiana (DC), wird Außenminister. Ein Jahr später wird er mit der Bildung einer Regierung der nationalen Einheit beauftragt. Aus den nächsten Wahlen 1946 gehen die Christdemokraten als stärkste Partei hervor, und De Gasperi bleibt Premier. In den insgesamt acht Jahren seiner Regierungszeit (bis Juni 1953) verankert er - trotz des starken Einflusses der Kommunistischen Partei, die nach der DC die zweitstärkste Fraktion im Parlament stellt - Italien in der NATO und bindet es in den westeuropäischen Integrationsprozeß ein. Das Land gehört 1951 zu den sechs Gründungsmitgliedern der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, und De Gasperi unterstützt auch das Vorhaben, eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft zu bilden (s.o.).
Noch drei Monate vor seinem Tod am 19. August 1954 übernimmt der 73jährige die Präsidentschaft der parlamentarischen Versammlung der EGKS. An seiner Überzeugung, daß die Zukunft einem vereinten Europa gehört, läßt er keinen Zweifel aufkommen. Zugleich aber mahnt er: "Wenn wir nur gemeinsame Verwaltungen ohne einen übergeordneten politischen Willen schaffen, der von einem Zentralorganismus gesteuert wird, in dem die nationalen Willensbekundungen in einer höheren Synthese zusammentreffen und ihren Ausdruck finden, dann laufen wir Gefahr, daß diese europäischen Aktivitäten verglichen mit der besonderen Lebenskraft der Einzelstaaten farblos und bar jeglicher Ideale erscheinen, und daß sie zu einem bestimmten Zeitpunkt als überflüssige und lästige Superstruktur empfunden werden, wie etwa das Heilige Römische Reich in gewissen Zeiten seines Verfalls".



Robert Schuman   Place de l‘Europe - Luxemburg
    EP-Gebäude SCH

Robert Schuman wächst als Sohn einer Luxemburgerin und eines Lothringers glücklicherweise zweisprachig und von deutscher wie von französischer Kultur geprägt auf, bevor der erste Weltkrieg ihn vom deutschen zum französischen Staatsbürger macht.
Der 1886 Geborene legt 1903 am humanistischen Gymnasium in Luxemburg sein Abitur ab und das gleiche noch einmal am Gymnasium in Metz, damit er in Deutschland studieren darf, wird an den Universitäten Bonn, München, Berlin und Straßburg zum Juristen ausgebildet, macht 1908 sein erstes Staatsexamen und gründet nach Promotion und zweitem Staatsexamen in Straßburg 1912 eine Anwaltskanzlei in Metz.
Nach dem Wiederanschluß von Elsaß-Lothringen an Frankreich wird Schuman als Vertreter des Departement Moselle in die französische Nationalversammlung gewählt, wo er sich für die sprachliche, kulturelle und religiöse Eigenständigkeit seines heimatlichen Landstrichs einsetzt, ohne dabei in autonomistische oder gar separatistische Töne zu verfallen. Bis zum zweiten Weltkrieg ist er Abgeordneter der Assemblée Nationale, beim Einmarsch der deutschen Truppen in Frankreich 1940 ist er (wie übrigens auch De Gaulle) Staatssekretär in der Regierung Reynaud. Schumans Ressort sind die Flüchtlingsfragen. Nach dem Rücktritt Reynauds und der Unterzeichnung des Waffenstillstandsvertrages mit Deutschland bietet der neue Restfrankreich-Premier von Hitlers Gnaden, Pétain, Schuman einen Ministerposten an, den dieser ablehnt. Er kehrt nach Metz zurück und wird Mitte September von der Gestapo verhaftet, die ihn zunächst erfolglos für eine Mitarbeit zu gewinnen versucht und danach in Neustadt in der Pfalz unter Hausarrest stellt. Von dort aus gelingt ihm 1942 die Flucht nach Frankreich, er geht in den Untergrund und nimmt Verbindung zur Widerstandsbewegung auf.
1945 zieht er wieder für Moselle in die Nationalversammlung ein, wird Mitte 1946 Finanzminister und im November 1947 sogar für knapp acht Monate Regierungschef. Eine Woche nach seinem Rücktritt von diesem Posten beginnen für ihn jene fünf Jahre als Außenminister, die ihn in Europas Geschichtsbücher eingehen lassen.
Am 9. Mai 1950 legt Robert Schuman den - nebenbei bemerkt von seinem Mitarbeiter Jean Monnet (mehr zu ihm in Teil II) ausgearbeiteten - Vorschlag der Regierung in Paris vor, "die Gesamtheit der französisch-deutschen Kohle- und Stahlproduktion einer gemeinsamen Hohen Behörde zu unterstellen, in einer Organisation, die den anderen europäischen Ländern zum Beitritt offensteht. Die Zusammenlegung der Kohle- und Stahlproduktion wird sofort die Schaffung gemeinsamer Grundlagen für die wirtschaftliche Entwicklung sichern - die erste Etappe der europäischen Föderation - und die Bestimmung jener Gebiete ändern, die lange Zeit der Herstellung von Waffen gewidmet waren, deren sicherste Opfer sie gewesen sind."
Dieser sog. Schuman-Plan, entwickelt nicht zuletzt in dem Bestreben, die seinerzeit für die Kriegführung entscheidende Montanindustrie durch europäische Einbindung unter Kontrolle zu halten, gilt heute als die Geburtsurkunde der Europäischen Gemeinschaft. Aus ihm erwächst 1951 der von Deutschland, Frankreich, Italien und den Benelux-Ländern unterzeichnete Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), der 1952 für 50 Jahre in Kraft tritt. Nach diesem institutionellen Muster werden sechs Jahre später auch die Römischen Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG oder Euratom) verfaßt.
Als Außenminister treibt Schuman während seiner verbleibenden Amtszeit bis Ende 1952 auch die Europäische Verteidigungsgemeinschaft voran, die dann aber 1954 ausgerechnet in der französischen Nationalversammlung vom europäischen Tisch gefegt wird.
Schuman bleibt in den Folgejahren Parlamentsabgeordneter. 1958 wählt ihn das Europäische Parlament, genauer die Parlamentarische Versammlung der drei Europäischen Gemeinschaften (EGKS, EWG, EAG) zu ihrem Präsidenten und verleiht ihm begleitet von stehenden Ovationen den Ehrentitel "Vater Europas".
1962 nimmt der damals 76jährige in einem offenen Brief an die Bevölkerung Abschied von der Politik. Bei einem Abendspaziergang hatte der Junggeselle ein Jahr zuvor einen Schlaganfall erlitten, von dem er sich nie wieder ganz erholte. Ein Jahr nach seinem politischen Abschiedsbrief stirbt Robert Schuman am 4. September 1963 in Chazelles bei Metz.



Konrad Adenauer   Rue Alcide de Gasperi - Luxemburg
    EP-Gebäude KAD oder "BAK"

Der Staatsmann Konrad Adenauer, mit vollem Namen Konrad Hermann Josef Adenauer, wird am 5. Januar 1876 als drittes von fünf Kindern in Köln geboren. Seinen ersten Vornamen erbt er vom Vater, einem katholischen Kanzleirat. Der Junior, der in Freiburg, München und Bonn Jura und Volkswirtschaft studiert und zum Referendariat ins heimatliche Köln zurückkehrt, tritt in seine Fußstapfen.
1904 heiratet der 29jährige, zu dieser Zeit Hilfsrichter am Landgericht Köln, Emma Weyer, mit der er zwei Söhne - Konrad und Max - und die Tochter Ria hat. 1905 schließt er sich der Deutschen Zentrumspartei an. Im Jahr darauf wird er Beigeordneter der Stadt Köln. Drei Jahre später und bis in den ersten Weltkrieg hinein ist er als erster Beigeordneter für Kölns Finanz-, Personal- und Ernährungsdezernat zuständig. Einige seiner Erfindungen (er brachte es im Laufe seines Lebens auf immerhin 40) sollen helfen, Engpässe bei der Versorgung der Bevölkerung zu beheben. So reicht Adenauer zu Beginn des ersten Weltkriegs zwei Patentanträge beim Reichspatentamt ein. Sein "Kölner Brot", ein Schrotbrot aus Mais, wird im Mai 1915 patentiert. Die "Kölner Wurst" hingegen aus reinem Soja wird im Deutschen Reich nicht, in England jedoch für patentierbar gehalten und geschützt.
1916 verstirbt Konrad Adenauers erste Frau Emma. Im Jahr darauf wird er Oberbürgermeister seiner Geburtsstadt. Der Arbeiter- und Soldatenrat ernennt ihn während der Novemberrevolution 1918 zum Ordnungsbeauftragten, und nach der Abdankung Kaiser Wilhelm II. wird er Vorsitzender des neu gebildeten Kölner Wohlfahrtsausschusses. Nach Kriegsende heiratet der Mann mit dem kantigen Profil wieder. Mit seiner zweiten Frau Gussie (Auguste), die 1948 verstirbt, hat er fünf Kinder.
Von 1921-33 bekleidet Adenauer gleichzeitig die Ämter des Kölner Oberbürgermeisters und des Staatsratspräsidenten des preußischen Freistaates. In der Nachkriegszeit tritt er zunächst für die Trennung der Rheinprovinz, die aufgrund des Versailler Vertrags unter alliierter Besatzung steht, vom Deutschen Reich ein und plädiert für Verhandlungen mit Frankreich, fordert dann aber, nachdem er erkennt, daß die Ausrufung einer rheinischen Republik scheitern würde, nur noch die Loslösung des Rheinlandes von Preußen und seine Konstituierung als Bundesstaat innerhalb des Deutschen Reiches.
Ein Jahr vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 verspekuliert Adenauer sein Vermögen durch den Ankauf von Glanzstoff-Aktien. Um einen öffentlichen Skandal zu verhindern, leiht ihm der Vorstandsvorsitzende der Glanzstoff-AG ein Aktienpaket im Nominalwert von 250.000 Reichsmark aus einem sog. schwarzen Fonds.
Eine Woche nach Hitlers Machtergreifung 1933 widersetzt sich Adenauer in seiner Rolle als Staatsratspräsident der Auflösung des Preußischen Landtags. Fünf Wochen später läßt er Hakenkreuzflaggen von der Deutzer Brücke in Köln entfernen und weigert sich, den zu einer Wahlkampfrede aus Berlin angereisten Reichskanzler Adolf Hitler zu empfangen. Wenige Wochen später verläßt Adenauer seine Geburtsstadt und verbringt ein Jahr im Schutz des Klosters Maria Laach. 1934 wird er für zwei Tage von der Gestapo festgehalten. Ab Mai 1935 lebt Adenauer rund ein Jahrzehnt sehr zurückgezogen, vor allem in Rhöndorf bei Bonn. Aufforderungen von Mittelsmännern, sich dem Widerstand anzuschließen, lehnt er ab. Nach dem Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 wird Adenauer verhaftet und in einem Lager auf dem Messegelände in Köln interniert. Er flüchtet, wird erneut verhaftet und bis Kriegsende im Gestapo-Gefängnis Brauweiler gefangengehalten. Die amerikanische Militärregierung setzt ihn nach der deutschen Kapitulation im Mai 1945 wieder als Kölner Oberbürgermeister ein. Ein halbes Jahr später setzen ihn die britischen Militärbehörden jedoch "wegen Unfähigkeit" ab.
1946 wird er zum ersten Vorsitzenden der CDU in der britischen Besatzungszone, nach Gründung des Landes Nordrhein-Westfalen zum CDU-Fraktionsvorsitzenden im ersten Landtag gewählt. Als Präsident des Parlamentarischen Rates (1948-49) ist er maßgeblich an der Ausarbeitung des Grundgesetzes beteiligt. Mitglied des ersten Bundestags wird Adenauer durch Direktmandat. Einen Monat nach der Bundestagswahl beruft ihn das Parlament am 15.09.1949 mit nur einer Stimme Mehrheit zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland.
Schwerpunkt seiner Politik wird die Westintegration der Bundesrepublik. Die deutsch-französische Verständigung hat für ihn äußerste Priorität, in ihr sieht er die Voraussetzung für eine politische Einigung Europas. Zu einem ersten Treffen mit dem französischen Außenminister Robert Schuman kommt es im Januar 1950, ein Schritt der Aussöhnung, der im Januar 1963 zum deutsch-französischen Freundschaftsvertrag (Elysée-Vertrag) führt. Mit Israel unterzeichnet Adenauer im September 1952 ein sogenanntes Wiedergutmachungsabkommen. 1951 bis 1955 übernimmt er als Bundeskanzler zusätzlich das neugeschaffene Amt des Außenministers. Auf die "Stalin-Note" von 1952, in der die Sowjetregierung den Westmächten die deutsche Wiedervereinigung und bewaffnete Neutralität Deutschlands vorschlägt, reagiert Adenauer nicht. Zwei Monate später unterzeichnet er den Deutschlandvertrag "über die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland mit den drei Mächten", der das Besatzungsstatut ablösen soll, aber an die Europäische Verteidigungsgemeinschaft geknüpft ist, die im französischen Parlament 1954 scheitert. Mit dem Inkrafttreten der Pariser Verträge 1955 wird die Bundesrepublik Mitglied der Westeuropäischen Union und der NATO. Sein Ziel, Westdeutschland als souveränen Staat in das westliche Bündnissystem einzubinden, hat Konrad Adenauer damit erreicht. Ein Jahr später verabschiedet der Bundestag das von ihm forcierte Wehrpflichtgesetz. Auch die Ausrüstung der Bundeswehr mit Nuklearwaffen wird von ihm, wie er Journalisten gegenüber erklärt, gutgeheißen.
In Adenauers Kanzlerzeit fallen wichtige Entscheidungen für die europäische Integration. 1951 wird die Montanunion, die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, gegründet, 1957 folgen die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die Europäische Atomgemeinschaft. Die Europapolitik seines Nachfolgers Ludwig Erhard kritisiert der Altkanzler mit der Bemerkung, daß der Weg nach Europa nur über Paris führe.
Adenauer ist insgesamt 14 Jahre Bundeskanzler. Nachdem Koalitionspartner FDP 1961 die Begrenzung seiner vierten Amtszeit auf zwei Jahre fordert und im Herbst 1962 die Spiegel-Affäre zur Regierungskrise führt, willigt Adenauer ein, im Oktober 1963 vorzeitig zurückzutreten. Vier Jahre später, am 19. April 1967, stirbt er in Rhöndorf bei Bonn.