Islamistischer Terrorismus
Separatistischer Terrorismus
Linker und anarchistischer Terrorismus
Rechter Terrorismus
Single-issue Terrorismus
Hintergründe
Vor 10 Jahren veränderte ein Ereignis die Welt: 9/11. Zwei
Flugzeuge wurden von Islamisten in die beiden Türme des World Trade Centers
gesteuert und lösten damit eine Schockwelle in der Welt aus. Und seitdem geht
die Gefahr des Islamismus durch Köpfe und Münder. So nimmt es nicht wunder, daß,
als in Oslos Regierungsviertel am 22. Juli eine Bombe detonierte, schnell
Stimmen laut wurden, die Islamisten für die Tat verantwortlich machten. Umso
größer der Schock als man feststellen mußte, daß es sich um einen Norweger mit
rechter Gesinnung handelte, der für die nationale Tragödie verantwortlich ist.
Nun stellt sich die Frage, wie groß ist die Gefahr von Seiten
des Islamismus, besonders in Europa. Was läßt sich aus den Vorkommnissen der
letzten Jahre schlußfolgern? Einige Antworten liefert der schon im April
veröffentlichte Jahresbericht des Europäischen Polizeiamtes Europol zu
Terroranschlägen in der Europäischen Union: der EU Terrorismus Situations- und
Trendreport. In diesem wird nicht nur auf islamistischen Terrorismus
eingegangen, sondern auch auf die anderen Formen: separatistischen, linken und
anarchistischen, rechten sowie single-issue Terrorismus.
Unter einem terroristischen Akt wird eine Tat verstanden, die
die Bevölkerung bedroht, die einen Staat dazu zwingen will, in die Bedingungen
der Täter einzuwilligen, und/oder die die fundamentalen politischen,
konstitutionellen, ökonomischen oder sozialen Strukturen eines Landes oder einer
internationalen Organisation destabilisiert.
Im Jahr 2010 wurden 249 gescheiterte, verhinderte und
durchgeführte Attentate registriert. Das entspricht einem Rückgang von rund 21%
im Vergleich zum Vorjahr 2009, in dem sich die Zahl auf 316 belief. Die meisten
Terroranschläge zählte man in Frankreich (84) und Spanien (90), die mehrheitlich
separatistischen Hintergrunds waren. Gerade einmal 3 Attentate von Islamisten
wurden verzeichnet. Insofern es Drohungen gab, sprachen sie meist islamistische
Gruppen aus. Separatisten, Linke und anarchistische Gruppen warnten ebenso vor
Attentaten, oft über Zeitungen oder Fernsehsender. Die letzten Jahre zeigen, daß
solchen Drohungen auch Terrorakte folgten.
2010 wurden 611 Personen festgenommen (623 im Jahr 2009), weil
sie im Zusammenhang mit einer terroristischen Straftat standen. Im Unterschied
zu dieser insgesamt rückläufigen Zahl stieg der Anteil der Menschen (47%), die
wegen Beziehungen zum islamistischen Terrorismus inhafitiert wurden. Im Jahr
2010 beschäftigten sich 125 Gerichtsverhandlungen in 10 EU-Staaten mit Taten
terroristischen Hintergrunds; 307 Personen wurden deswegen vor Gericht zur
Verantwortung gezogen, von diesen waren 26 weiblich. Insgesamt verringerte sich
die Zahl der verurteilten Personen von 398 im Jahr 2009 um rund 23%. Die meisten
Personen wurden in Spanien verurteilt (173), wie schon im Jahr zuvor (217
verurteilte Personen). Die Terroristen bekommen im Mittel eine 6jährige
Haftstrafe. Über dem EU-Durschnitt liegen die Gefängnisstrafen für
Linksextremisten (13 Jahre), Separatisten (11 Jahre) und Islamisten (7 Jahre).
In den letzten Jahren haben immer mehr EU-Mitgliedstaaten von spezifischen
Vorgängen und Methoden der Finanzierung des Terrorismus berichtet, die ein Indiz
für den Versuch darstellen, die Ressourcenbasis terroristischer Gruppen zu
stärken, z.B. bzgl. Material, Rekrutierung, Ausbildung und Transport. Die Gelder
für diese Aktivitäten können zum einen von legalen Investitionen und legalen
Geschäften herrühren. Zum anderen wird auf Kriminalität zurückgegriffen wie
Kidnapping und Erpressung (hier wird vor allem die Sahelzone benannt), Betrug,
bewaffnete Überfälle, Fälschungen sowie Drogen- und Menschenhandel. Dies legt
nahe, daß die Verbindung von Terroristen zum organisierten Verbrechen steigt.
Jedoch wird Terrorismus von Kriminalität unterschieden, da beide von einander
abweichende Ziele verfolgen. Zudem wird von einer stärker wachsenden,
internationalen Kooperation berichtet, die sowohl innerhalb der EU als auch
außerhalb intensiviert wurde. Dies wird besonders durch das Internet und soziale
Medien gefördert, wodurch sich das Internet zu einer wesentlichen Stütze für
Terroristen und Extremisten entwickelt.
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Islamistischer Terrorismus |
Betrachtet man ausschließlich den
islamistischen Terrorismus, so wurden, wie schon gesagt, 3 Terroranschläge
in der EU verübt, die alle von der Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen
motiviert waren. 179 Personen wurden wegen islamistisch terroristischer
Vergehen und davon 89 Personen wegen der Vorbereitung von Attentaten
verhaftet. Unter den Verhafteten befinden sich nur wenige Frauen. Wenn
Frauen in islamistischen Gruppen aktiv sind, ist ihre Beteiligung meist auf
Unterstützung, Förderung und Propagandaaktivitäten beschränkt. Im Vergleich
zum Vorjahr wurden mehr Islamisten festgenommen, weswegen vermutet wird, daß
weiterhin terroristische Attentate innerhalb der EU von Islamisten geplant
werden. Netzwerke zur Rekrutierung und Unterstützung sind in vielen
EU-Mitgliedstaaten aktiv. Besorgniserregend ist die Zahl der Islamisten, die
EU-Bürger sind oder in der EU geboren wurden. Einige reisen extra in die
Krisenregionen, um sich dort ausbilden zu lassen, und kehren wieder zurück.
Die Schlußfolgerung aus dieser Radikalisierung ist, daß sich die EU den
Terrorismus selbst heranzieht. Besonders das Internet und Onlineforen sind
die wichtigsten Plattformen für die Radikalisierung. Die gleiche Wirkung
wird auch sozialen Medien zugeschrieben, genauso wie organisierte Treffen in
Privathaushalten oder Moscheen, die meist essentiell für die Rekrutierung
und Radikalisierung sind.
Des weiteren beeinflußt die Sicherheitssituation außerhalb
der EU die islamistischen Terroraktivitäten innerhalb der EU. So sind
Überfälle auf EU-Bürger außerhalb der EU z.B. in Nordafrika und der
Sahelzone aufgetreten, die Grund zur Sorge sind. Zudem legen verschiedene
Zwischenfälle die Vermutung nahe, daß sich die Terroristen auf einem hohen
Niveau bei der Vorbereitung von Attentaten und der Anpassung an
Sicherheitsstandards sowie deren Überwindung befinden.
Die von den Islamisten ausgesprochenen Drohungen (insofern
es welche gibt) richteten sich an die gesamte Europäische Union, an einzelne
Mitgliedstaaten oder bezogen sich auf europäische Interessen im Ausland. In
den meisten Fällen wurden die Drohungen aufgrund bestimmter Vorkommnisse,
die als Ausdruck westlichen antiislamischen Denkens gelten, ausgesprochen,
z.B. die Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen in Dänemark und Schweden
oder das Kopftuchverbot in Frankreich.
Finanziert werden die islamistischen Gruppen zum Teil über
kriminelle Geschäfte außerhalb der EU, zum Teil aber auch innerhalb der EU.
Wobei sich die Hinweise mehren, daß islamistische Terrorzellen in Europa
immer häufiger Geld für eigene Aktionen sammeln.
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Separatistischer Terrorismus |
Im Jahr 2010 gehen 160 Attentate in der EU
auf separatistischen Terrorismus zurück, die mehrheitlich in Spanien und
Frankreich stattfanden und von denen 10% scheiterten. Ein Polizist wurde in
Frankreich von der ETA (Euskadi ta Askatasuna - Baskisches Vaterland und
Freiheit) getötet. 349 Personen wurden im Zusammenhang mit separatistischen
Aktivitäten verhaftet, die meisten in Frankreich (123), Spanien (104) und
Irland (57). Von diesen standen 75% in Verbindung mit einer Organisation,
die Attentate in der EU verübt hat. Verglichen mit den anderen Arten des
Terrorismus ist der Anteil der festgenommenen Frauen unter den Separatisten
am größten. Er beträgt 22%.
Die meisten separatistischen Gruppen finanzieren sich
mittels Erpressung, z.B. von Geschäften in ihrem Einflußbereich. Andere wie
die PKK (Partiya Karkeren Kurdistan - Kurdische Arbeiterpartei) sammeln Geld
von ihren Mitgliedern, was nach Meinung des Berichts auch als Erpressung
verstanden werden kann. Andere Geldquellen sind Geldwäsche, Drogen- oder
Menschenhandel.>
Der Europol-Bericht hält zum einen fest, daß ein
verstärkter Austausch separatistischer Gruppen innerhalb und außerhalb der
EU stattfindet. So konnten gehäuft Flüge von ETA-Mitgliedern nach Venezuela
registriert werden, was eine erhöhte Kooperation mit FARC (Fuerzas Armadas
Revolucionarias Colombianas - Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens)
nahelegt. Zum anderen versuchen ethnonationalistische und separatistische
Terrorgruppen wie die ETA und die PKK weiterhin internationale Beachtung und
politische Selbstentschlossenheit zu erreichen. Sie sind motiviert durch
Nationalismus, Ethnie und/oder Religion. Darüber hinaus gibt der Report zu
bedenken, daß die Waffenstillstandserklärungen verschiedener
separatistischer Organisationen keine Garantie sind, daß keine Attentate
mehr verübt werden.
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Linker und anarchistischer Terrorismus |
Die Zusammenfassung linker und anarchistischer Gruppen wird im Bericht damit begründet, daß beide „revolutionäre“, antikapitalistische Merkmale verbindet. Von diesen Gruppierungen wurden 45 Attentate verübt, bei denen 6 Personen starben. Traditionell sind Linksextremisten und Anarchisten mehrheitlich in Griechenland, Spanien und Italien aktiv. Insgesamt wurden 12% mehr Attentate von ihnen verzeichnet als im Vorjahr. Der Trend zu immer gewaltsameren Attentaten setzt sich seit 2007 fort. So werden immer häufiger Bomben eingesetzt. Während 2009 20% der Anschläge mit Sprengstoff verübt wurden, waren es 2010 bereits 51%. Dagegen liegt der Anteil der Angriffe mit Brandstiftung konstant bei 42%. Insgesamt wurden 34 Personen verhaftet. In Spanien, wo anarchistische Gruppen meist in Katalonien aktiv sind, wurden weniger Personen festgenommen als die Jahre zuvor, was einen Abwärtstrend des linken Terrorismus in dieser Region anzeigt. Jedoch besteht eine zunehmende, transnationale Koordination der Gruppen. Die wachsende Internationalisierung spiegelt sich in der Wahl gemeinsamer Ziele in den verschiedenen Städten und Ländern wieder, ebenso wird ein ähnlicher Modus operandi genutzt, oder es kommt zu Solidaritätsaktionen für im Gefängnis sitzende Kameraden. Daraus wird der Schluß gezogen, daß eventuell während einiger anstehender Gerichtsverhandlungen in Griechenland dieses Jahr Solidaritätsattentate stattfinden werden.
Als sozusagen identitätsstiftend gilt weiterhin die Abgrenzung zum rechten Flügel. Dies schlägt sich in diskreditierenden „faschistischen“ Kampagnen, gezielten Angriffen auf Individuen, Vermögen und Eigentum sowie direkten körperlichen Konfrontationen während Demonstrationen nieder.
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Rechter Terrorismus |
Rechtsextremisten haben im Jahr 2010 keine
Attentate verübt. Jedoch werden rechtsextreme Gruppen immer professioneller
in ihren Manifestationen. Sie versuchen weiterhin auf traditionellem Wege
ihre Politik nach außen zu transportieren, und zwar mittels Aufmärsche,
Kundgebungen, Demonstrationen und Konzerte. Wobei sich besonders bei den
Konzerten zeigt, daß scheinbar enge Verbindungen zu anderen rechten Gruppen
innerhalb der EU bestehen, da Gleichgesinnte aus anderen EU-Staaten
ebenfalls zu den Konzerten kommen. Moderne Wege werden auch von ihnen
genutzt. Immer häufiger sind Rechtsextremisten in sozialen Netzwerken aktiv
und durch den Nachwuchs, der die Ideen und die Rhetorik von Jugendkulturen
mitbringt, erhalten ihre Gedanken einen anderen Anstrich. Zudem fokussieren
sie mehr auf sensible Themen der öffentlichen Debatte wie Immigration,
Korruption und die Finanzkrise. Zusammen ergibt dies eine gestiegene
Professionalität in der Propaganda und Organisation, was insofern Besorgnis
erregend ist, als es zeigt, daß sie ihre Ideologie weiter verbreiten wollen.
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Single-issue Terrorismus |
Der single-issue Terrorismus beruht, wie der
Name schon sagt, auf einzelnen Themen wie die Rechte von Tieren oder der
Umweltschutz. Im Jahr 2010 gab es nur ein Attentat in Griechenland, das in
diese Kategorie fällt. Jedoch wurden mehr als 200 auf single-issue
basierende extremistische Zwischenfälle registriert. Dies beinhaltet auch 24
Brandstiftungen. Sogenannte Umweltextremisten waren im Jahr 2010 aktiver als
im Vorjahr. Dabei bekommen sie Unterstützung von verschiedenen anderen
extremistischen Gruppen. Ziele der Aktionen sind die Pelz-, die Öl- und die
Atomindustrie. Dafür werden sowohl genehmigte Proteste als auch illegale
Methoden wie Drohanrufe verwendet. Auch diese Extremisten nutzen immer
intensiver Netzwerke für ihre Aktivitäten. Damit wird ein generelles
Vernetzen vorangetrieben, ebenso wie das Setzen von Prioritäten,
Koordinieren und Unterstützen direkter Aktionen.
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Hintergrund |
Der Europol-Bericht beruht auf einem Beschluß des Rates über den Informationsaustausch und die Zusammenarbeit bzgl. terroristischer Straftaten, der darauf abzielt, den operativen Stellen umfassende und aktuelle Daten für ihre Aufgabe der Terrorismusbekämpfung zur Verfügung zu stellen. Die Mitgliedstaaten sind aufgefordert, Daten über terroristische Aktivitäten zu sammeln, die sich aus polizeilichen Ermittlungen ergeben, und diese Europol zu übermitteln. Ebenso werden Daten an Eurojust weitergegeben, die auf Strafverfolgungsfälle und Verurteilungen im Zusammenhang mit terroristischen Straftaten beruhen. Beide Datenquellen gehen dann in den Bericht ein, der jährlich veröffentlicht wird und zum ersten Mal im Jahr 2007 präsentiert wurde.
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